Pädagogisches Konzept

In Yad Vashem in Jerusalem, der Holocaustgedenkstätte Israels, befindet sich eine der zentralen Bildungseinrichtungen zur Frage der  Vermittlung des Holocaust. Im Zuge empirischer Studien gelangten Fachleute zur Erkenntnis, dass 13- bis 14-jährige Schüler bei ihrer Erstbegegnung mit dem Thema Shoa in der Schule zunehmend mit einer Haltung der „Überfütterung“ und des „Angewidert-Seins“ reagieren. Jedoch die Medienpräsenz macht heute eine frühe Konfrontation mit der Thematik Holocaust unvermeidbar. Unfreiwillig und unkontrolliert schnappen daher jungen Konsumenten Fernsehbilder, Augenzeugenberichte, Hollywoodfilme, Dokumentationen oder Bildreportagen auf, jedoch die Verarbeitung oft traumatisierender Stoffe wird ihnen ohne Betreuung zugemutet. Ihre natürliche Schutzreaktion ist ein „Sich-Abwenden“.[1]

Eine frühere Auseinandersetzung mit dem Thema Holocaust in der Volksschule würde dem entgegenwirken und hätte den Vorteil der Entzerrung einer Fülle an Stoffmenge in überschaubarere Einheiten. Es gibt zwar berechtigte Einwände Kinder im Grundschulalter mit dieser schwierigen Thematik zu konfrontieren, deshalb sollen auch traumatisierende Inhalte und Bilder von Leichenbergen in Konzentrationslagern oder ausgezerrten KZ-Überlebenden in der frühen Vermittlung ausgespart bleiben. Jedoch Geschichten der Enteignung, Vertreibung und Flucht, die strukturell ebenso zum großen Themenfeld der Shoa gehören, sind auch jüngeren Kindern schon zumutbar. Darüber hinaus repräsentiert sich das kulturelle Gedächtnis durch eine Zunahme an Gedenkstätten der nationalsozialistischen Vergangenheit unseres Landes vermehrt im öffentlichen Raum. Auch hier werden bei jüngeren Kindern Fragen aufgeworfen, die einer sensiblen Beantwortung bedürfen.

Die Holocaust-Pädagogik in Yad Vashem empfiehlt daher in ihrem Konzept für Grundschüler ab 9 Jahre die Auseinandersetzung mit einer historisch authentischen Geschichte nur einer Person, ohne fiktiver Ergänzungen, die zum Zeitpunkt des Erlebens etwa im Alter der ZuhörerInnen war und den Holocaust erlebt und überlebt hat. Dazu gehören Erfahrungen antisemitischer Propaganda, der Ausschluss aus dem öffentlichen Leben, der Raub jüdischen Eigentums und die Vertreibung aus ihren Wohnungen, die Bedrohung in der Reichspogromnacht und die wachsende Angst „hier“ zu bleiben, was sie schließlich zur Flucht „Weg von hier…“ zwang. Eine Geschichte mit diesen Inhalten ist auch jüngeren Kindern zumutbar.[2]

Die Erzählung von Ilse Mass enthält in Anlehnung an den Titel des Kinderbuches „Weg von hier…“ viele allgemein bekannte Strukturen und Abläufe, die ein Erfahrungsumfeld zum Thema Holocaust skizzieren und steht stellvertretend für das Schicksal vieler Juden unsere Landes…

…weg von der Wohnung
…weg von der Schule
…weg von Freunden
…weg von geliebten Menschen
…weg von der Heimat
…weg von hier mussten.

Die Beispielgeschichte von Ilse Mass nimmt in wiederholtem Maß Bezug auf das Erzählmotiv „Weg von hier…“ und kann damit beim kindlichen Zuhörer den von der Holocaust-Pädagogik erwünschten Prozess der Empathie in Gang bringen.[3] Es handelt sich um ein Erfahrungsspektrum, das kaum einem jungen Zuhörer oder einer jungen Zuhörerin unbekannt ist, gleichgültig von welcher sozialen und kulturellen Herkunft er oder sie abstammt. Darüber hinaus bietet das Erzählmotiv „Weg von hier…“ genügend didaktische Möglichkeiten der Vor- und Nachbereitung dieser Holocaustgeschichte.

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[1] Das pädagogische Konzept der Internationalen Schule für Holocaust-Studien. 25.04.2014.
[2] Vgl. Alisa Badmor, Zu Zielen und Methoden der pädagogischen Beschäftigung mit dem Thema Holocaust. In: Jürgen Moysich u. Matthias Heyl [Hg.], Der Holocaust. Ein Thema für Kindergarten und Grundschule? Hamburg 1998. 144-158.
[3] Ido Abram u. Piet Mooren, Erziehung nach Auschwitz… mit und ohne Auschwitz? Eine Aufgabe für Kindergarten und Grundschule. In: Ebenda. 93-96.

Weiterführende Literatur
Jürgen Moysich u. Matthias Heyl [Hg.], Der Holocaust. Ein Thema für Kindergarten und Grundschule? Hamburg 1998.