Normalität vor 1938

Ilse Mass wurde am 30. November 1928 als Kind jüdischer Eltern in Linz geboren. Ihre Eltern hießen Eduard und Julia Rubinstein. Eduard wurde im Februar 1880 in Baja in Ungarn geboren, Julia kam am 17. Juli 1892 in Wien zur Welt. Ihre Mutter hieß Rosa Schleier. Noch in der Habsburgermonarchie lebte Julia mit ihrer Familie für einige Jahre in Ungarn und besuchte in Györ die Schule. Aus diesem Grund beherrschte auch sie die ungarische Sprache. Sollte Ilse einmal nicht verstehen, was ihre Eltern miteinander redeten, sprach man Ungarisch. Keiner bemerkte, dass die kleine Ilse auf diese Weise heimlich die ungarische Sprache erlernte.

Eduard war schon mehrere Jahre in Österreich ansäßig, als er Julia in Wien kennen lernte. Das Paar übersiedelte nach Linz, heiratete 1927 und bezog in der Bismarckstraße Nr. 4 im ersten Stock eine Mietwohnung. In den Räumlichkeiten des Erdgeschoß eröffnete man ein Bekleidungsgeschäft für Damen-, Herrn- und Kinderbekleidung. Da man per Ratenzahlung einkaufen konnte, wurden die jüdischen Inhaber auch von nichtjüdischen Kunden geschätzt. Rubinsteins waren gut situiert, besaßen ein Auto und hatten ein Kindermädchen. Sie waren sozial integriert. Ein bekannter Linzer Kinderarzt war regelmäßig bei Familie Rubinstein zu Gast. Man nahm am kulturellen Leben in der Stadt teil, besuchte das Landestheater, erholte sich im Volksgarten, ging ins Kaffeehaus, machte Familienausflüge auf den Pöstlingberg oder fuhr mit dem Schiff auf der Donau.

Die kleine Ilse wuchs als verwöhntes Einzelkind auf. Schon früh erkannten die Eltern ihr musisches Talent, das in jungen Jahren im Brucknerkonservatorium gefördert wurde. 1934 trat Ilse erstmals als Tänzerin im Linzer Landestheater auf. Mit acht Jahren entdeckte man ihre ausgezeichnete Singstimme für die Rolle des „Heinerle“ in der bekannten Operette „Der fidele Bauer“.

Bis zum Jahr 1938 führte Familie Rubinstein in Linz ein assimiliertes bürgerliches Leben. Ilse besuchte die Mozartschule, wo sie die einzige Jüdin in ihrer Klasse war. Eine besonders innige Freundschaft pflegte sie mit Helga Scheidt, einem Mädchen in der Nachbarschaft, das sie als ihre „Busenfreundin“ bezeichnete. Die jüdische Identität der Rubinsteins wurde immer nur dann sichtbar, wenn Ilse den israelitischen Religionsunterricht besuchte oder man an hohen jüdischen Feiertagen zur Synagoge ging.